Freitag, 18. November 2016

Kommentar zur schönen Seele



In der früheren Klassik war die schöne Seele das Ziel der ästhetischen Erziehung. Auch Friedrich Schiller hielt dies für das Idealbild der damaligen Zeit. Er fand, dass es die Versöhnung von Pflicht, Vernunft und Sinnlichkeit beinhaltete. Sozusagen ein harmonisches Verhältnis zwischen den Gefühlen und den sittlichen Kräften. Aber wo genau und auf wem lässt sich dieses Idealbild in Schillers Tragödie übertragen? In der Tragödie Maria Stuart geht es hauptsächlich um den Konflikt zwischen der verstoßenen schottischen Königin Maria Stuart und deren Cousine Elisabeth I, Königin von England. Maria sucht Zuflucht bei ihrer Cousine. Statt ihr Asyl zu gewähren, nimmt Elisabeth ihre Cousine allerdings gefangen. Auf Grund falscher Zeugenaussagen und des Hasses, den Elisabeth ihr entgegen bringt, scheint Marias Tod besiegelt. An bestimmten Stellen hat man noch die Hoffnung, dass sich Marias Schicksal vielleicht doch noch wendet, wie zum Beispiel, als sie die Sympathien von Leicester und Mortimer gewinnt und die Beiden Fluchtpläne schmieden. Allerdings scheitern diese kläglich und als Elisabeth von ihrem Volk gezwungen wird, das Urteil zu unterschreiben, ist jede vorhandene Hoffnung dahin. Kurz nach Marias Hinrichtung erfährt man, dass der Zeuge seine Falschaussage zurückgezogen hat. Maria ist also unschuldig, aber es ist bereits zu spät: Sie ist tot. Die große Frage hier ist aber, wie Maria ihr Schicksal trägt. Im Buch ist eine deutliche Entwicklung ihres Charakters und ihres Denkens zu erkennen. Geht diese Entwicklung aber wirklich so weit, dass man Maria am Ende als schöne Seele bezeichnen kann? Am Anfang ist sie natürlich sehr traurig und mitgenommen, hält sich für ihre Situation aber doch sehr tapfer und gefasst. Bei dem Zusammentreffen mit Elisabeth verliert sie dann allerdings doch ihre Geduld und es kommt zum Streit. Hört sich für mich nicht wirklich wie eine schöne Seele an, da diese doch die Versöhnung von Pflicht und Vernunft beinhalten sollte. Allerdings kann Maria sich noch fangen. Sie akzeptiert ihr Urteil. Dies wird besonders  im 6. Auftritt von Aufzug 5 deutlich, als Maria auf ihr ehemaliges Gefolge trifft. Statt mit ihnen zu trauern, möchte Maria, dass sie sich mit ihr freuen, denn ihr Leiden hat nun ein Ende. Bei ihrer Verabschiedung erhascht man noch einmal einen Blick auf ihre wahre königliche Würde und Nächstenliebe. Sie verschenkt ihre noch vorhandenen Besitztümer an ihre Bediensteten und verabschiedet sich mit Worten, welche ihre Dankbarkeit und Liebe ausdrücken. Kurz darauf beichtet sie ihre Sünden bei ihrem ehemaligen Haushofmeister. Maria gibt all ihre Schuld zu und kommt somit ins Reine mit sich selbst. Durch die Befreiung von ihrer Schuld  und durch ihr Verhalten schafft sie ein harmonisches Verhältnis zwischen ihren Gefühlen, Vernunft und den zu erwartenden sittlichen Kräften. Am Ende des Dramas hat sie sich im Angesicht des bevorstehenden Todes, zur schönen Seele entwickelt. 
Michelle Kunze

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen