In der früheren Klassik war die schöne Seele das Ziel der
ästhetischen Erziehung. Auch Friedrich Schiller hielt dies für das Idealbild
der damaligen Zeit. Er fand, dass es die Versöhnung von Pflicht, Vernunft und
Sinnlichkeit beinhaltete. Sozusagen ein harmonisches Verhältnis zwischen den
Gefühlen und den sittlichen Kräften. Aber wo genau und auf wem lässt sich
dieses Idealbild in Schillers Tragödie übertragen? In der Tragödie Maria Stuart
geht es hauptsächlich um den Konflikt zwischen der verstoßenen schottischen
Königin Maria Stuart und deren Cousine Elisabeth I, Königin von England. Maria
sucht Zuflucht bei ihrer Cousine. Statt ihr Asyl zu gewähren, nimmt Elisabeth
ihre Cousine allerdings gefangen. Auf Grund falscher Zeugenaussagen und des
Hasses, den Elisabeth ihr entgegen bringt, scheint Marias Tod besiegelt. An
bestimmten Stellen hat man noch die Hoffnung, dass sich Marias Schicksal vielleicht
doch noch wendet, wie zum Beispiel, als sie die Sympathien von Leicester und
Mortimer gewinnt und die Beiden Fluchtpläne schmieden. Allerdings scheitern
diese kläglich und als Elisabeth von ihrem Volk gezwungen wird, das Urteil zu
unterschreiben, ist jede vorhandene Hoffnung dahin. Kurz nach Marias
Hinrichtung erfährt man, dass der Zeuge seine Falschaussage zurückgezogen hat.
Maria ist also unschuldig, aber es ist bereits zu spät: Sie ist tot. Die große
Frage hier ist aber, wie Maria ihr Schicksal trägt. Im Buch ist eine deutliche
Entwicklung ihres Charakters und ihres Denkens zu erkennen. Geht diese
Entwicklung aber wirklich so weit, dass man Maria am Ende als schöne Seele
bezeichnen kann? Am Anfang ist sie natürlich sehr traurig und mitgenommen, hält
sich für ihre Situation aber doch sehr tapfer und gefasst. Bei dem
Zusammentreffen mit Elisabeth verliert sie dann allerdings doch ihre Geduld und
es kommt zum Streit. Hört sich für mich nicht wirklich wie eine schöne Seele an,
da diese doch die Versöhnung von Pflicht und Vernunft beinhalten sollte.
Allerdings kann Maria sich noch fangen. Sie akzeptiert ihr Urteil. Dies wird
besonders im 6. Auftritt von Aufzug 5
deutlich, als Maria auf ihr ehemaliges Gefolge trifft. Statt mit ihnen zu
trauern, möchte Maria, dass sie sich mit ihr freuen, denn ihr Leiden hat nun
ein Ende. Bei ihrer Verabschiedung erhascht man noch einmal einen Blick auf
ihre wahre königliche Würde und Nächstenliebe. Sie verschenkt ihre noch
vorhandenen Besitztümer an ihre Bediensteten und verabschiedet sich mit Worten,
welche ihre Dankbarkeit und Liebe ausdrücken. Kurz darauf beichtet sie ihre
Sünden bei ihrem ehemaligen Haushofmeister. Maria gibt all ihre Schuld zu und
kommt somit ins Reine mit sich selbst. Durch die Befreiung von ihrer Schuld und durch ihr Verhalten schafft sie ein
harmonisches Verhältnis zwischen ihren Gefühlen, Vernunft und den zu erwartenden
sittlichen Kräften. Am Ende des Dramas hat sie sich im Angesicht des bevorstehenden
Todes, zur schönen Seele entwickelt.
Michelle Kunze
Michelle Kunze
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen